Jüdisches Leben in Aufseß
Zeitlicher Abriss
Bereits 1432 lebten unter dem besonderen Schutz der Herren von Aufseß Juden im Ort Aufseß. Im 30jährigen Krieg von 1618 bis 1648 war Aufseß ca. 1630 verwüstet und die Pest hatte die ganze Bevölkerung hingerafft.
Freiherr Carl Heinrich Christof von Aufseß siedelte wieder vertriebene Juden aus Burgellern (bei Bamberg / Scheßlitz) im Jahr 1699 in Aufseß an.
Die Juden lebten im oberen Dorf von Aufseß im Bereich des heutigen Kirchbergs, der heutigen Brunnengasse und in der heutigen Raiffeisenstraße.
Im Jahr 1722 baute Jakob Levi aus Zeckendorf bei Scheßlitz eine Synagoge in Aufseß. Im Jahr 1900 wurde eine neue Synagoge am heutigen Kirchberg sowie eine Mikwe in der heutigen Neuhauser Straße in Aufseß gebaut. Die Synagoge wurde nach 1932 wegen der inzwischen geringen Zahl von jüdischen Gemeindemitgliedern nicht mehr benutzt, sie verfiel und wurden 1938 wegen „Baufälligkeit“ abgerissen. Heute ist nur noch der Standort bekannt. Die Mikwe ist ebenfalls verfallen.
Die jüdische Gemeinde wurde 1825 dem Distriktrabbinat in Hagenbach zugeteilt. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schächter tätig war. Unter den Lehrern sind bekannt: Bis 1818 Baruch Moses, 1822 Moses Dessauer, 1826 Herrmann Fremb, 1841 Hermann Traub, 1848 A. Wormser, 1856 Joseph Lehmann, 1860 Juda Richard, 1874 Alexander Weil, 1875 bis 1928 Leopold Schloß. Letzterer konnte 1925 sein 50-jähriges Dienstjubiläum in der Gemeinde feiern. Nachdem seine Frau 1928 verstorben war, ist er zu seiner Tochter nach Fürth gezogen, wo er im Sommer 1929 verstarb und auf dem Neuen jüdischen Friedhof beerdigt ist. Nach dem Wegzug von Leopold Schloß wurde die Lehrer- und Vorbeterstelle nicht mehr besetzt.
Der jüdische Friedhof wurde 1699 mit Erlaubnis der Ortsherrschaft (damals Freiherr Carl Heinrich von Aufseß) angelegt. Auf ihm wurden auch die Toten der jüdischen Gemeinden Hollfeld und Bayreuth (bis zur Anlage eines eigenen jüdischen Friedhofes in Bayreuth 1787), sowie seit 1902 die Juden aus Heiligenstadt beigesetzt.
Die letzten Beisetzungen waren am 6. März 1933 Babette Fleischmann sowie am 25. Oktober 1937 Moses Günther.
Der Friedhof hat eine Fläche von 1200 m2. Der Friedhof war von einem Drahtzaun umgeben. Mitte der 1990er Jahre wurde der Friedhof mit einer Mauer umfriedet. Nach jüdischem Verständnis bleibt der Judenfriedhof bis zum jüngsten Tag bestehen.
Vom Eingang aus im Westen stehen links oben direkt an der Einfriedungsmauer die beiden ältesten Steine beginnend mit dem 19. Januar 1741. Dann folgen von West nach Ost die streng nach Osten ausgerichteten Grabsteine. Die Belegung erfolgte Reihe für Reihe.
Dem Eingang gegenüber an der Westmauer rechts liegen die sieben zuletzt erstellten Gräber. Insgesamt sind auf dem Friedhof 146 Grabsteine erhalten. Von zwei Gräbern sind nur noch die Fundamentsteine erkennbar. Im westlichen Bereich sind Lücken in der Belegung zu erkennen, während im östlichen Teil die Grabsteine sehr konzentriert angelegt sind. Eine in der NS-Zeit stattgefundene Schändung ist schriftlich nicht dokumentiert.
Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts (1753) stieg die Zahl der jüdischen Einwohner auf 62 an. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1809 und 1810 85 jüdische Einwohner (26,1 % von insgesamt 326 Einwohnern), 1837 96 (14,1 % von 680), 1840 105 (17,5 % von 600), 1852 104 (15,8 % von 659), 1867 86 (9,8 % von 879), 1875 67 (7,7 % von 871), 1880 65 (7,2 % von 906), 1900 56 (7,8 % von 770), 1910 44 (5,8 % von 755). Die jüdischen Familien lebten überwiegend vom Handel mit Tuch und Leder, Schnittwaren, Spezereiwaren und Landesprodukten. Es gab Metzgereien und eine Lohgerberei. Im jüdischen Wohngebiet in Aufseß ist ein Lohhütte und mehrere Laubhütten (für das jüdische Laubhüttenfest) erhalten. Einige Juden waren als Viehhändler tätig und es gab zwei Landwirte.
Mitte des 19. Jahrhunderts sind die ersten Familien ausgewandert. Wohl um 1932 wurde der letzte Gottesdienst abgehalten, da nicht mehr das Minjan, Anzahl von 10 mündigen männlichen Juden, erreicht werden konnte. Am 9. November 1838 wurden die letzten 5 Juden gewaltsam vertrieben.
Zeittafel
1432 | In einer Urkunde werden auch Juden unter dem Schutz der Herren von Aufseß genannt. |
1648 | Im Dreißigjährigen Krieg erlosch die Zeit der ersten Ansiedlung. |
1699 | Carl Heinrich von Aufseß nimmt jüdische Familien aus Burgellern auf. Diese wohnten zuerst mietsweise in Häusern des Carl Heinrich von Aufseß. Später gingen die Häuser in Eigentum der Juden über. |
1700 | Der jüdische Begräbnisplatz war zuerst herrschaftlicher Besitz, ging dann 1722 in jüdischen Besitz über. |
1722 | Die Synagoge war zuerst herrschaftlicher Besitz, ging dann 1722 für 80 fl. in jüdischen Besitz über. |
1742 | Christoph Ludwig von Aufseß setzt einen Judenschultheiß und eine Ordnung über Gemeinde- / Religionsverfassung ein. |
1745 | Vier aus Böhmen ausgewanderte Juden werden aufgenommen. |
1742 | Ein Ordnungsbuch wird abgefasst und bestätigt. |
1813 | Aufgrund des Judenedikts von 1813 erhielten 17 Familien einen neuen Namen und erhielten je eine Matrikelnummer. |
1826 | Die Zahl der jüdische Einwohner war mit 104 Einwohnern (16 % von 659) am höchsten. |
1902 | Es werden die noch wenigen jüdische Bewohner von Heiligenstadt der jüdischen Gemeinde Aufseß zugeteilt. |
1932 | Da nicht mehr die nötige Personenzahl Minjan (= 10 Männer) erreicht werden konnte wurde wohl um 1932 der letzte jüdische Gottesdienst in der Synagoge Aufseß abgehalten. |
1933 | 1933 lebten noch 11 jüdische Personen im Dorf. Bis 1938 verzogen 4 Personen in andere Orte in Deutschland. |
1937 | Am 25. Okt. 1937 war die letzte jüdische Beerdigung in Aufseß: Es war Moses Günther |
1938 | Beim Novemberpogrom lebten noch 5 jüdische Einwohner hier in Aufseß. Nach den Ausschreitungen wurden diese 5 Personen abtransportiert, 2 konnten später in die USA fliehen, 3 zogen in andere Ort Deutschlands. |
1938 | Die Synagoge wurde wegen „Baufälligkeit“ abgerissen. |
Opfer in der NS-Zeit
Von den in Aufseß geborenen und / oder längere Zeit in Aufseß lebenden jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen:
(Angaben nach Listen von Yad Vashem, Jerusalem und des Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945)
Mathilde Adler, geb. Günther
Mathilde Adler,
geb. Günther
Geb. 9.10.1898 in Aufseß
Deportiert am 25.4.1942
nach Krasnystaw
Julius Aufseeser
Geb. 1.5.1878 in Aufseß
Ermordet ca. 1941
im Ghetto Lublin
Therese Dittmann,
geb. Fleischer
Geb. 15.1.1865 in Aufseß
Ermordet am 13.8.1943
im Sammellager Westerbork / Holland
David Fleischer
Geb. 17.12.1862 in Aufseß
Ermordet am 18.9.1942
im Ghetto Theresienstadt
Heinrich Fleischer
Geb. 26.3.1877 in Aufseß
Ermordet am 22.2.1942
im Ghetto Litzmannstadt (Lodz)
Ignatz Fleischer
Geb. 5.11.1873 in Aufseß
Ermordet am 25.2.1942
im Ghetto Litzmannstadt (Lodz)
Karl Fleischmann
Geb. 29.10.1867 in Aufseß
Ermordet am 23.1.1943
im Ghetto Theresienstadt
Bertha Berta Günther,
geb. Fleischmann
Geb. 29.1.1864 in Aufseß
Deportiert am 29.9.1942
KZ Treblinka
Fanni Fanny Haymann,
geb. Oppenheimer
Geb. 19.1.1865 in Aufseß
Ermordet am 29.6.1942
Betty Hopfenmaier,
geb Aufseeser
Geb. 26.6.1891 in Aufseß
Ermordet am 30.4.1943
im KZ Sobibor / Polen
Marie Maria Kaufmann,
geb. Dittmann
Geb. 26.7.1859 in Aufseß
Ermordet am 21.10.1942
im Ghetto Theresienstadt
Fanny Löwenstein,
geb. Fleischmann
Geb. 27.5.1896 in Aufseß
Ermordet ca. 1942
im Ghetto Izbica
Jacob Oppenheimer
Geb. 28.5.1874 in Aufseß
Ermordet in Riga / Lettland
Michael Oppenheimer
Geb. 6.8.1886 in Aufseß
Ermordet am 16.10.1944
im KZ Auschwitz
Adolf Abraham Richard
Geb. 24.6.1860 in Aufseß
Freitod am 12.3.1942
in München
Siegfried Pinkhas Schloß
12.7.1882 in Aufseß
Ermordet ca. 1942
im KZ Riga
Kathi Katti Silbermann,
geb. Dittmann
20.4.1864 in Aufseß
Ermordet am 28.4.1943
im Ghetto Theresienstadt
Momentaufnahmen Mitte des 19. Jahrhunderts
Quelle: Bild: Christiane Reichert und Ralf Jost, Büro für Kunst- und Denkmalpflege, Bamberg
Mit der Bayerischen Urvermessung ab 1808 wurde der Feld-, Grund- und Hausbesitz erfasst, steuerrechtlich bewertet und im Grundsteuerkataster der Steuergemeinde Aufseß aufgenommen. Hier eine Momentaufnahme um 1853 /1854. Die jüdischen Familien lebten in Tropfhäusern und eine Familie in einem Söldengut ( www.museum-tropfhaus.de )
Quelle: Bild: Peter Friedmann und Dietmar Stadter
Frühere Synagoge in Aufseß
Quelle Bild: unbekannt
Synagoge in Aufseß um ca. 1933
In einer Chronik bezüglich der aus
Burgellern nach Aufseß angesiedelten
Juden heißt es:
„Im Jahre 1722 erkauften diese von dem Freyherrn von Aufseß das Schütthaus für 80 Gulden zur Einrichtung einer Synagoge“.
1754 / 1755 wurde das „Treunzer Häuslein“ abgebrochen und eine neue Synagoge errichtet.
Im Jahr 1895 wurde die Synagoge von Zimmermann Kunstmann renoviert.
Wohl um 1932 wurde der letzte Gottesdienst abgehalten, da nicht mehr die nötige Personenzahl für die Gottesdienstfeier erreicht werden konnte.
Es ist nur noch der Standort bekannt, auf dem die Synagoge errichtet war.
Jüdischer Friedhof Aufseß
Ansicht des Judenfriedhof von Süd nach Nord
Quelle Bild: Peter Friedmann und Dietmar Stadter
Ansicht des Judenfriedhof von Ost nach West
Quelle Bild: Peter Friedmann und Dietmar Stadter
- Letzte Beerdigung 25. Oktober 1937 (afs-0025)
- Grabstein (afs-0066) mit besonderer Eulogie und mit Akrostichon
- vermutlich ältester Grabstein (afs-0005) von 21. Januar
(Quelle Bild Transkription: Peter Friedmann und Dietmar Stadter
- Dokumentation des jüdischen Friedhofs
Peter Friedmann und Dietmar Stadter: Bestandsaufnahme und Beschreibungen
Quelle Bild: Drohnenaufnahme Hartmut Müller
Quelle Vermessung: Eyub Fikret Eyub November 2023
Familiennamen in der jüdischen Gemeinde Aufseß
Folgende Namen aus der jüdischen Gemeinde Aufseß sind derzeit eruiert worden. Bitte melden Sie sich bei der Gemeinde in Aufseß www.aufseß.de, wenn Sie Ihre Familien-Genealogie erkunden wollen.
The following names from the Jewish community of Aufseß have currently been determined. Please contact the municipality in Aufseß www.aufseß.de if you want to explore your family genealogy.
Information zu Verfasser Text/Bilder - Links Quellenangaben - Literaturverzeichnis
Der Friedhof befindet sich im Besitz und im Unterhalt der Israelitischen Kultusgemeinde in Bayern.
Die Pflege des jüdischen Friedhofs hat die Gemeinde Aufseß übernommen.
Führungen und weitere Auskünfte können Sie über die Gemeinde Aufseß erfragen.
Besonderer Hinweis zum Judenfriedhof
Dieser Friedhof wird dem Schutz der Allgemeinheit empfohlen.
Beschädigungen, Zerstörungen und jeglicher beschimpfende Unfug werden strafrechtlich verfolgt (§§ 168, 304 StGB).
Weitere Informationen
https://www.alemannia-judaica.de/
Der jüdische Friedhof in Aufseß (Kreis Bayreuth)
https://www.hdbg.de/juedische-friedhoefe/friedhoefe/friedhof_aufsess.php
https://hdbg.eu/juedisches_leben/
https://www.heimat-bayern.de/schoenere-heimat-2023-heft-3/
Literatur zum jüdischen Leben in Aufseß:
Baruch Z. Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, München/Wien 1979, S. 107/108
Adalbert Hollfelder, Über den Judenfriedhof zu Aufseß, in: "Hollfelder Blätter", 5/1980, Heft 3, S. 45 f.
Gerhard Philipp Wolf, Ländliches Judentum in christlichem Umfeld - Zur Geschichte der Juden in Aufseß (19.Jahrhundert), in: "Berichte des Historischen Vereins Bamberg", No.121/1985, S. 117 - 132
Gerhard Philipp Wolf, Zur Frage der Beziehung zwischen Juden und Christen - am Beispiel Aufseß, in: Jüdische Landgemeinden in Franken - Beiträge zu Kultur u. Geschichte einer Minderheit, Hrg. Zweckverband Fränkische Schweiz-Museum Tüchersfeld, 1987, S. 51 f.
Klaus Guth (Hrg.), Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800 - 1942). Ein historisch-topographisches Handbuch, Bayrische Verlagsanstalt Bamberg, Bamberg 1988, S. 92 - 103
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 204/205 (Aufseß) und S. 225 (Hollfeld)
Peter Landendörfer, Aufseß, in: Jüdisches Leben in der Fränkischen Schweiz, Schriftenreihe des Fränkische-Schweiz Vereins, Band 11, Palm & Enke, Erlangen 1997, S. 518 - 557
Peter Landendörfer, Einzelne Familien und Persönlichkeiten der Aufsesser Judenschaft, in: Jüdisches Leben in der Fränkischen Schweiz - Schriftenreihe des Fränkische-Schweiz Vereins, Band 11 Palm & Enke, Erlangen 1997, S. 748 - 763
Helmut Paulus, Die ‘Reichskristallnacht’ und die Judenverfolgung in der Gauhauptstadt Bayreuth, in: Historischer Verein für Oberfranken, Archiv für Geschichte von Oberfranken, Bd. 78, Bayreuth 1998 (‘Der Judenpogrom von Aufseß’)
Michael Trüger, Der jüdische Friedhof in Aufseß, in: Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, 14.Jg., No. 79/1999, S. 20
Gerhard Philipp Wolf, Ländliches Judentum in christlichem Umfeld – Zur Geschichte der Juden in Aufseß, in: G. Ph. Wolf, Armut – Luthertum – Lutherforschung (Kirchengeschichte Bayerns, Heft 83), Neustadt/Aisch 2004, S. 177 - 192
A. Hager/C. Berger-Dittscheid, Aufseß, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 1, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2007, S. 66 - 71
Aufseß, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, zumeist personenbezogenen Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Hollfeld, in: alemannia-judaica.de
N.N. (Red.), Zum Verkauf gezwungen. Das Schicksal der letzten fünf Juden von Aufseß, in: „Nordbayrische Nachrichten“ vom 18.11.2010
Patrick Charell – Haus der Bayerischen Geschichte (Bearb.), Aufseß Synagoge - Jüdisches Leben in Bayern, in: hdbg.eu/juedisches_leben/synagoge/aufsess
Manfred Scherer (Red.), Aufseß – Der jüdische Friedhof kommt in die Denkmalliste, in: „Nordbayrischer Kurier“ vom 12.12.2023